125 Jahre SPD-Ortsverein Bietigheim

Veröffentlicht am 11.07.2023 in Ortsverein

1897 in Deutschland: In Hamburg endet der Hafenarbeiterstreik, ohne dass Arbeiter ihre Forderungen nach 5 Mark Mindestlohn pro Tag und einer Arbeitszeitverkürzung auf täglich 10 Stunden durchsetzen können. In Köln wird die Caritas gegründet. Kaiser Wilhelm II. verspricht den Deutschen einen 'Platz an der Sonne' und gibt die Losung aus: 'Am deutschen Wesen soll die Welt genesen!' Der Imperialismus hat Hochkonjunktur.


Doch wie sind die Gegebenheiten in Bietigheim zu dieser Zeit?


Es gibt einige Familien mit relativ großem Grundbesitz, der es ihnen erlaubt, eine herausragende Stellung in der Gemeinde einzunehmen. Daneben gibt es eine größere Anzahl von Kleinbauern, die mehr schlecht als recht von dem leben können, was ihre Äcker hergeben. Dazu Fabrikarbeiter, deren Verdienst nicht ausreicht, ihre Familie zu ernähren und die sich deshalb noch als Nebenerwerbsbauern betätigen müssen. Handwerker, die das wenige zu produzieren oder zu reparieren haben, was damals in einem Dorf an Gerätschaften benötigt wird. Einige Kolonialwarenhändler, außerdem Tagelöhner ohne jeglichen Grundbesitz, die von dem leben müssen, was sie durch den Verkauf ihrer Arbeitskraft verdienen können, und das ist eigentlich immer zu wenig.


Unter diesen Gegebenheiten tun sich im ersten Quartal 1897 einige Bietigheimer Bürgen zusammen und gründen den SPD-Ortsverein Bietigheim. In einer Zeit, in der „Hurra-Patrio­tismus“ und „Deutschland, Deutschland über alles“ die staatstragenden Parolen sind, ist es nicht opportun und erfordert eine Menge Mut, für Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität einzutreten. Persönliche Nachteile, unter denen meistens natürlich ganze Familien zu leiden haben, sind die Folgen von unerwünsch­tem, politischem Engagement.

 

Noch schlimmer wird es 1933, das Jahr, welches das vorläufige Ende der deutschen Sozialdemokratie markiert.


Nun geht es auch für die Bietigheimer Sozialdemokraten um das nackte Überleben. Schnellstens werden alle schriftlichen Unterlagen vernichtet, um zumindest die Mitglieder zu schützen, deren Mitgliedschaft in der SPD in der breiten Öffentlichkeit nicht bekannt ist.


Manche Kontakte der Sozialdemokraten untereinander können unauffällig weiter gepflegt werden, andere muss man abbrechen, will man nicht Kopf und Kragen riskieren.


Doch vermögen es zwölf Jahre nationalsozialistischer Diktatur nicht, sozialdemokratische Grundsätze vollständig auszulöschen. Schon am 17. November 1945 treffen sich acht Genossen in einer Privatwohnung zu einem Gespräch über die Wiedergründung des SPD-Ortsvereins.


In den 1960ern bis in die 80er Jahre dann folgt der große Boom politischer Mitbestimmung, der auch ein Boom der etablierten Parteien und der Gewerkschaften ist. Aus der einstmals klassenbewussten, proletarischen Arbeiterpartei SPD wird eine der großen Volksparteien. Willy Brandt und Helmut Schmidt werden zu Gesichtern für Frieden, Stabilität und Wohlstand in den Wirtschaftswunderjahren.


In dieser Zeit boomen auch die politischen Ortsvereine, die fester Bestandteil des Lebens eines jeden Dorfes, einer jeden Stadt werden. Viele Menschen legen sich früh auf eine Firma als Arbeitgeber, auf eine Partei, eine Automarke oder eine Zigarettensorte fest und bleiben ihr ein Leben lang treu.


Heutzutage gibt es solche Treue in keinem Lebensbereich mehr: Ein Jobwechsel im Zwei- oder Dreijahresturnus ist längst mehr die Regel als die Ausnahme. Und in einer globalisierten Welt verlaufen Biographien nicht nur über Orts- sondern über Landesgrenzen hinweg. Junge Menschen engagieren sich themenspezifisch und temporär, wollen aber meist keine festen Vereinsstrukturen mit regelmäßigen und verbindlichen Treffen.


Als SPD-Ortsverein Bietigheim müssen wir deshalb sicherlich darüber nachdenken, mit welchen Angeboten und Formaten wir zukünftig auch jüngere Menschen für unsere Überzeugungen begeistern können. Das klassische turnusmäßige Ortsvereinstreffen in der lokalen Gaststätte hat wahrscheinlich ausgedient.


Umso dringender brauchen wir sozialdemokratische Prinzipien vor Ort, dort, wo die Politik gemacht wird, die die Menschen in unserer Gemeinde unmittelbar betrifft. Hier müssen wir für soziale Gerechtigkeit, für eine solidarische und lebendige Bürger*innengesellschaft, für nachhaltigen Fortschritt und qualitatives Wachstum einstehen.


Wir setzen uns gemeinsam für eine Sache ein, die größer ist als ihre einzelnen Teile. Wir glauben, dass dies auch für eine Gemeinde einen Mehrwert stiftet als Gegenentwurf zu ausschließlich freien Wählerlisten, auf denen sich Menschen jedweder politischer Couleur versammeln.


In diesem Sinne hoffen wir, dass auch im Jahr 2047 eine irgendwie geartete Festlichkeit zum 150-jährigen Bestehen des SPD-Ortsvereins in Bietigheim begangen wird.
 
Einen Bericht zu unserer Feierstunde finden Sie nächste Woche an gleicher Stelle.

 
 

Landtag

Jonas Nicolas Weber
Jonas Nicolas Weber

 

 

 

Bundestag

Gabriele Katzmarek

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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